Die Faszination physikalischer Phänomene weckt immer wieder den künstlerischen Forschungsgeist. Auch wenn ihr Ergründen die Domäne der Wissenschaft ist, lässt sich auch auf klanglichem Weg ihrer Essenz nahekommen – manchmal vielleicht sogar näher. So meint man die Sonnenreflexion auf fallendem Laub im Ensemblestück Fire Fragile Flight der nahezu vergessenen amerikanischen Komponistin Lucia Dlugoszewski tatsächlich flirren zu sehen. Das weich-feste Gefühl von »Treten wie auf Moos« evoziert Sarah Nemtsov in ihrer Komposition MOOS mittels einer ausgefallen indirekten Klangerzeugungsmethode. Márton Illés versucht die unterschiedlichsten Instrumente der menschlichen Stimme anzuverwandeln, insbesondere die urtümlichen Laute, die sie jenseits von Worten und Gesang hervorbringt. Dabei wachsen die Instrumentalklänge so organisch zusammen, dass aus dem Ensemble eine Art hochexpressive Kreatur wird.
Der griechisch-französische Komponist, Ingenieur und Architekt Iannis Xenakis legte indessen nahezu all seinen Werken ganz konkrete naturwissenschaftliche Referenzsysteme zugrunde – eine in der Musikgeschichte präzedenzlose Praxis, die auch in seinem Ensemblestück Thalleïn (griechisch für »sprießen«) zum Tragen kommt. Unter Anwendung der Siebtheorie lässt er hier unterschiedlichste Kleinstmotive wachsen und wuchern, sich verwandeln und sich zu organischen Klanggeweben verzahnen. 100 Jahre nach Xenakis’ Geburt reflektiert der Komponist Michael Pelzel in seinem neuen Werk Urgewalt Xenakis – Im Sog der Transformationdie »rohe und archaische Wucht« der Musik, die aus solch rigorosen Prozessen erwachsen ist.
Foto: Jörg Brüggemann
Text: RuhrTriennale